13. März 2014

Meckerecke: Wie die "Welt" den Rechtsstaat versteht

Die interessantesten Reflexionen zum Fall Ulrich H., die ich heute in den unendlichen Weiten der digitalen Sphäre gelesen habe, finden sich bei Rayson und im Blog zum Medienrecht des Rechtsanwalts Kompa. Dieser weist völlig zutreffend darauf hin, dass das heute vom Landgericht München II verkündete Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist und deshalb zugunsten von H. nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt.

Selbst wenn das Urteil heute rechtskräftig geworden wäre, könnte niemand daran gehindert werden, seine Solidarität mit H. zu bekunden. Ein Strafurteil ist ja keine umfassende und abschließende Bewertung des Charakters eines Menschen, sondern eine Sanktion für eine oder mehrere seiner Handlungen.
 
Bei der WELT scheint man da irgendetwas nicht ganz verstanden zu haben. Wie sonst ist die Unterschrift „,Mia san mia’ statt Rechtsstaat“ unter einem Video zu erklären, das H.-Unterstützer bei einer Versammlung vor dem Münchner Justizpalast zeigt? Wohlgemerkt: Die Sprechchöre fanden vor dem Gerichtsgebäude statt und nicht im Verhandlungssaal. Als im Verfahren über die dritte Startbahn des Münchner Flughafens die Urteilsverkündung durch Pfiffe und das Absingen der Bayernhymne unterbrochen worden war, ist man bei der WELT nicht auf eine solche Schlagzeile gekommen - von deren bavarophobem Unterton ganz zu schweigen. 

Noch einmal zum Mitschreiben für das Personal des Globusblatts: H. genießt die – gemäß Ziffer 13 des Pressekodex – auch für die gedruckte Meinung verbindliche Unschuldsvermutung. Wer sich vor dem Gerichtsgebäude bei H. für dessen Verdienste um einen bekannten deutschen Fußballverein bedankt und seiner Sympathie für den Angeklagten Ausdruck verleiht, ist nicht schon allein deshalb ein Feind des Rechtsstaats.
Noricus

Änderung 14.03.2014, 06.05 Uhr: Die Verpflichtung der Presse auf die Unschuldsvermutung findet sich in Ziffer 13 des Pressekodex und nicht - wie hier zunächst irrtümlich vermerkt - in Ziffer 16.

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