8. September 2014

Putins Imperialismus


Als Anfang März der geschätzte Kollege R.A. in seinem Artikel "Der Schatten von München" Parallelen zwischen dem Vorgehen der deutschen Nationalsozialisten und Putin bei der Annektierung fremden Territoriums aufzeigte, war die Rede auf die ich eingehen will, schon gehalten, der Plan längst ausgearbeitet und auch die russischen Soldaten - über deren Funktion noch diskutiert wurde - bereits seit langem mit seiner Ausführung beschäftigt.
Was nur anhand von Indizien vermutet werden konnte, wurde mit der Zeit zur Gewissheit. Auch, dass der russische Präsident kein Problem mit der öffentlichen Behauptung des genauen Gegenteils der Realität hat um später die Realität dann doch einzuräumen - in Bezug auf die Anwesenheit von russischen Soldaten auf der gesamten Krim.
Am 29.8.2014 hörte man von ihm, ein Teil seiner Soldaten hätte sich in der Südukraine verirrt, weil die Grenze nicht eindeutig zu erkennen ist.

Die Ukraine fühlt sich nun genötigt sie bautechnisch sichtbar werden zu lassen.
Das wird aber den Russischen Präsidenten nicht davon abhalten, russische Soldaten zum "Schutz von Russen im Ausland" (seit einer Gesetzesänderung 2009 ohne Zustimmung des Föderationsrates) zu Auslandseinsätzen zu entsenden.
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Die Rede um die es geht, stammt von Walerij Gerassimov und wurde Ende Januar 2013 vor der Jahresversammlung der Russischen Akademie für Militärwissenschaften gehalten. Zwei Monate zuvor hatte Putin seinen Verteidigungsminister gefeuert wie auch seinen Generalstabschef. Es war das sichtbare Zeichen des Umbaus der Russischen Armee an ihrem Kopf. 

Der neue Generalstabschef Walerij Gerassimov, ein früherer Tschetschenien-Kommandeur, begründete die Notwendigkeit der Erneuerung der Armee mit der einer neuen Art von Kriegsführung, die der von Guerrillakämpfern gleicht. Die FAZ hat die Rede in einem sehr bemerkenswerten Artikel zusammengefasst und zitiert Gerassimov wie folgt:
Militärische Maßnahmen seien zwar erforderlich, sagte der Generalstabschef weiter, aber sie müssten einen „verdeckten Charakter“ haben: Dazu gehörten Angriffe auf Informationssysteme und der Einsatz von Spezialtruppen. „Der offene Einsatz von Truppen – oftmals unter dem Deckmantel von Friedenserhaltung und Krisenbewältigung – kommt erst zu einem späten Zeitpunkt in Betracht, vor allem, um in einem Konflikt endgültig zu gewinnen“, so Gerassimow.
Die Huffington Post geht noch auf einen Artikel von Gerassimov ein, der kurz nach seiner Rede am 27.02.2013 im russischen "Militärisch-industriellen Kurier" erschien:
Gerasimow schrieb darüber, wie ein "in voller Blüte stehender Staat innerhalb von Monaten oder sogar Tagen in einen Schauplatz heftiger bewaffneter Konflikte verwandelt, ein Opfer von Intervention aus dem Ausland, ins Chaos, in eine humanitäre Katastrophe und in den Bürgerkrieg gestürzt werden kann." Das erreiche man, so schrieb Gerasimow, "durch den groß angelegten Einsatz politischer, ökonomischer, informationeller, humanitärer und anderer nicht-militärischer Maßnahmen in Koordination mit dem Protestpotential der Bevölkerung". Ziel sei "eine dauerhaft aktive Front im gesamten Feindesland".
Genau so geht Russland nun in der Ukraine vor. Verdeckt. 
Hier auf Zettels Raum ist auch schon von Putins verdecktem Krieg gegen die Ukraine die Rede gewesen - nun gibt es die generalstabsmäßige Strategie dazu.

Aber damit nicht genug. Auch die hier ebenfalls schon geäußerte Befürchtung die baltischen Staaten wären in Gefahr, erhält neue Nahrung, schaut man sich die Einschätzung eines groß angelegten Manövers an, das im September 2013 unter dem Namen "Zapad" stattfand. Unter diesem Namen liefen auch die Manöver der einstigen Sowjetunion im imaginären Kampf gegen die NATO.
Am Manöver waren 70.000 Soldaten (nach Einschätzung der NATO, Angabe Russlands: 12900 und damit unter der Schwelle für die Zulassung westlicher Beobachter) beteiligt. Zitat der FAZ:
Stephen Blank, langjähriger Professor am US Army War College und einer der besten Kenner des russischen Militärs, schrieb kurz nach der Übung in einer Analyse, dass die „illegalen bewaffneten Gruppen“ gemäß dem Manöverplan aus Litauen stammten. Ihre Aufgabe habe darin bestanden, „in Weißrussland Operationen gegen den Staat durchzuführen und dabei ihren unterdrückten ethnischen Landsleuten zu Hilfe zu eilen“. In Wahrheit gibt es keine litauische Minderheit in Weißrussland. „Jene russischen Einheiten, die gemäß dem Manöverdrehbuch die Angreifer spielten, haben einen Einsatz geübt, wie wir ihn später auf der Krim und heute im Osten der Ukraine erleben“, sagt Blank heute. Und das ist keine Theorie. Denn es handelte sich sogar um dieselben Bataillone.
Die Einschätzung, dass Putins Russland eine Gefahr für die Sicherheit in Europa darstellt, der begegnet werden muss, folgt also keinem antirussischen, militaristischen oder kaltem Krieger-Reflex.
Sie ergibt sich aus einer sehr nüchternen Beobachtung und dem Versuch, die Aussagen des Russischen Präsidenten in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen seiner Handlungen zu bringen. Sicher sollte man dabei nicht die realpolitische Härte von Entscheidungen militärischer Großmächte im Allgemeinen außer Acht lassen. Mit einem erhobenen moralischen Zeigefinger verbaut man sich den Zugang zu objektiven Erkenntnissen und Lageeinschätzungen aus der Ferne. 
Aber die bereits offen kommunizierten Ziele einer Eurasischen Union, der besonderen Beziehungen zum "Nahen Ausland" und der Einschätzung des Untergangs der Sowjetunion als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, müssen mit den Schlussfolgerungen vereinbar sein, die zu treffen nötiger den je sind.
Die militärische Invasion Russlands in der Ukraine als eine solche wahrzunehmen, gehört dazu. 

Russland ist kein Vermittler sondern Kriegspartei. Die von russischen Staatsmedien Neurussische Armee genannte Vereinigung von russischen Spezialkräften und ukrainischen Terroristen ist eine Invasionsarmee. Und sie wird ihr Ziel der kompletten Annektierung des "Neurussland" genannten Gebietes der Südukraine nicht durch Waffenstillstände oder Verhandlungen aufgeben.
Fraglich ist, was danach kommt. Ob die Invasion auf Moldawien und die baltischen Staaten ausgedehnt wird. Es ist keineswegs grundlose Spekulation dies in Erwägung zu ziehen. 
Die NATO hat auf ihrem Gipfel vergangenes Wochenende in Newport mit dem beschlossenen Aufbau einer "Speerspitze" genannten Eingreiftruppe gezeigt, dass diesen Überlegungen reale und objektive Befürchtungen zugrunde liegen.


Erling Plaethe


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