9. November 2014

Deutscher Gedunk und zwei Beispiele, was der Fall der Mauer wirklich bedeutete

Gedenken in Deutschland ist eine ernste Sache. Verfolgt man die Medienberichterstattung, so geht es - gerade bei offiziellen Anlässen - um die "richtige" Form, die "richtigen" Worte. Darf der Biermann im Bundestag auf die Linke schimpfen; und wenn er es tut, darf ihm der Parlamentspräsident die Hand schütteln? Darf man Unrechtsstaat sagen, oder ist das jetzt "Interzonenautobahn"? Die kommentierenden Journalisten wirken wie Kiebitze beim Kartenspiel, die gespannt darauf warten, bis ein Spieler z. B. Herz ausspielt, um sogleich lauthals auszurufen, dass Eichel die bessere Wahl gewesen wäre.

Vor allem natürlich darum, wem gerade nicht gedacht wird. Die sind nämlich ausgeschlossen, und das ist dem deutschen Gedunk (frei nach B. Matzbach) unerträglich:

Kann man des Mauerfalls gedenken, wenn doch eine gar um vieles schröcklichere Mauer in der Westbank steht? Wie der Mauertoten, wenn an Europas Außengrenzen Flüchtlinge ums Leben kommen?  


Spätestens seit der Kritik um das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden - nämlich dass es die anderen Opfergruppen ausschließe - ist dieses Argument bei jeder Art von öffentlichem Gedunk - weil äußerst wohlfeil - zu hören. Und deshalb haben die Redenschreiber der Gedenkenden alle Hände voll zu tun, nicht nur alle geladenen Ehrengäste samt Titel in der protokollarischen Reihenfolge in der Rede unterzubringen, sondern auch alle Gedunkadressaten in der Reihenfolge ihrer Betroffenheit vom Gedunkanlass. 

Insofern wirkt die Würde deutschen Gedunks in der Regel so bemüht, dass das Ganze sehr schnell ins Würdelose abgleitet. Sich davon Inspiration zu erwarten ist naiv.

Wie kann man aber in einer Zeit, in der die Jungen mit dem Thema Mauerfall nichts mehr anfangen können und ein nicht unerheblicher Teil der Älteren schon die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, als Beleidigung empfindet, die Bedeutung des Mauerfalls vergegenwärtigen?

In dem man ganz normale Menschen zu Wort kommen lässt, deren Geschichten so bewegend, so rührend, deren Aussagen so authentisch sind, dass man schon einen antiemotionalen Schutzwall um sein Herz errichten muss, um sich nicht davon begeistern zu lassen. Exemplarisch möchte ich Ihnen, liebe Leser, zwei Zeitzeugen im O-Ton vorstellen - einen aus dem Westen und einen aus dem Osten.

Winfried Prem, ein kleiner, lebhafter Mann mit wachem Blick, begeistert mich nicht nur, weil er als Oberpfälzer ein Landsmann von mir ist. Sondern weil für ihn - entgegen dem nach wie vor noch bestehenden Klischee vom Ausverkauf des Ostens - das Geldverdienen nach dem Mauerfall im Osten zweitrangig war. Über 100 von 160 km Mauer hat der Abbruchunternehmer aus Muglhof bei Weiden abgerissen - aber am meisten Geld hätte er verdienen können, wenn er den Auftrag an einen Berliner abgegeben hätte, der ihm sieben Mio. DM auf die Hand angeboten hatte. 

Noch heute ist er stolz darauf, Weltgeschichte geschrieben zu haben. Prem ist im wahrsten Sinne des Wortes Baumeister der Einheit. Als Arbeiter stellte er ehemalige Volkspolizisten ein, und der Schotter der Mauer wurde verwendet, um neue Verbindungsstraßen zwischen Ost und West zu errichten. 

Hören und sehen Sie hier zwei Berichte über diesen außergewöhnlichen Menschen:
Bericht 1 
Bericht 2

Die zweite Geschichte dreht sich um einen Alpinisten aus Chemnitz, der immer davon träumte, die höchsten Gipfel Deutschlands zu besteigen - die natürlich auf der anderen Seite der Mauer lagen. Die Liebe zu den Bergen hat er von seinem Vater geerbt, der ihm als kleinem Buben immer einen Ausflug in die Alpen versprochen hat. Leider fiel der Vater am letzten Kriegstag.

Wolfgang Mann - so der Name des Sohnes - hat seinen Traum nie aufgegeben und hielt ihn am Leben, indem er das "Rucksackradio", eine Bergsteigersendung des BR, hörte. Noch am Tag des Mauerfalls schrieb er dankbar und bewegt einen langen Brief an die BR-Redaktion, der dann in der Sendung verlesen wurde. Dadurch wurden Bergfreunde im Westen auf ihn aufmerksam, und es wuchs zusammen, was zusammengehört. Hören Sie auch diesen liebenswerten Zeitgenossen im Interview.

Für mich zwei Helden der Freiheit, deren Worte viel mehr Kraft haben, als irgendwelche Ballons in Berlin es jemals könnten.


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Meister Petz

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