2. April 2015

Phantomschmerzen

Nicht nur für die Linke und ihre Genossen in Athen, sondern auch für die breite Mehrheit in den deutschen Medien ist klar: Griechenland leidet. Die von der Troika aufgezwungenen Sparmaßnahmen treffen bevorzugt die Schwächsten, Millionen Griechen sind an den Rand des Existenzminimums gedrängt, noch weitere Einschnitte sind völlig unzumutbar.

Wenn man etwas näher hinschaut, ist an dieser Sicht so ziemlich alles falsch.
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Erst einmal haben die Kreditgeber bzw. die EU die von der Troika zu überwachenden Maßnahmen nicht selber entworfen. Die Vorgabe war immer nur, bestimmte Sparziele zu erreichen. Die genaue Ausgestaltung war Sache der griechischen Regierung. Inclusive der Prioritätensetzung. Wenn sich also Griechenland immer noch weit überproportional hohe Militärausgaben und Renten leistet - aber es vielleicht wirklich in manchen Krankenhäusern Probleme gibt: Dann hat das nichts mit der Troika zu tun, sondern mit griechischen Entscheidungen. Die die Syriza-Regierung korrigieren könnte - aber das will sie ganz offensichtlich nicht.

Vor allem aber: Es geht "den Griechen" nicht schlecht. Richtig ist nur, daß es ihnen schlechter geht als zum Höhepunkt der schuldenfinanzierten Konsumblase. Dieses Ausgabenniveau war eben auch nicht zu halten. Aber die Lage ist immer noch besser als bei Euro-Einführung. Und da galt Griechenland richtigerweise nicht als Land am Rande des Existenzminimums.

Konkret: Setzt man 2001 als Jahr der Euroeinführung als Ausgangsbasis, so stieg das griechische Bruttosozialprodukt bis zum Jahr der Eurokrise in 2010 um sagenhafte 48%. Und der Durchschnittslohn um stolze 18%. Aber das war eben nur eine Blase.
Zum Vergleich stieg im gleichen Zeitraum das deutsche BSP um 22%, der Durchschnittslohn gerade mal um 1% (alle Zahlen inflationsbereinigt).

Als die Blase platzte, sanken BSP und Löhne in Griechenland natürlich deutlich. Und das wird dann immer gerne dargestellt - und oft als Folge des "Troika-Spardiktats" und "Mißerfolg der Sanierungspolitik" verkauft. Aber es war natürlich nur die Reaktion auf die Exzesse vorher bzw. das Zurückführen auf ein tragfähiges Maß. Und immerhin war ein gewisser Erfolg absehbar: Der griechische Staatshaushalt konnte 2014 wenigstens die normalen Staatsaufgaben (also ohne Schuldendienst) wieder aus eigener Kraft finanzieren, und es gelang auch wieder ein kleines, aber reales Wirtschaftswachstum. Bis die Populisten an die Macht kamen.

Heute ist das griechische BSP immerhin noch um 27% höher als 2001. Drastisch weniger als die 48% während der Blase, aber wirklich kein Grund zur Panikmache. Und der Durchschnittslohn liegt derzeit 9% Zuwachs seit 2001. Auch hier ein deutlicher Rückgang gegenüber 2010 - aber immer noch besser als die 4,7%, die Deutschland von 2001 bis 2014 erreichte.

Natürlich sind das nur Durchschnittswerte. Wenn man "die Griechen" sagt, dann umfaßt das Gewinner und Verlierer. Einigen Leuten geht es wirklich schlechter als 2001. Vielen davon zu Recht - weil sie ungerechtfertigte Privilegien im Staatsdienst oder in geschützten Branchen hatten.
Anderen Leuten geht es dagegen besser. Z. B. vielen Gewerbetreibenden, denen bürokratische Auflagen gestrichen wurden oder den Inselbewohnern in der Ägäis, die endlich stärker vom Handel mit der Türkei profitieren können - was vor der Krise durch chauvinistische Auflagen abgewürgt wurde.

Aber insgesamt gibt es keinen echten Grund, den Syriza-Genossen bei ihren Forderungen entgegen zu kommen. Natürlich wird Griechenland nie seine kompletten Schulden zurückzahlen. Aber die EU-Partner werden keinen Grund sehen, daß nicht wenigstens ein kleiner Eigenbeitrag geleistet wird.
Und am wenigsten Grund dazu sehen genau die Länder, die Diplomatie-Rambo Tsipras irrtümlich für potentielle Verbündete gehalten hat: Die übrigen "Club Med"-Regierungen, die mit großen Schmerzen und innenpolitischen Problemen Sparmaßnahmen und Reformen durchgezogen haben. Und nun blamiert dastünden, hätte die griechische Verweigerungshaltung Erfolg.

Und weil alle EU-Regierungen diese Zahlen kennen, wird Griechenland auch inhaltlich wenig Entgegenkommen erwarten können. Der griechische Durchschnittslohn (25500 €) ist immer noch höher als der in Estland (18940), der Slowakei (20300), der Tschechei (20340), in Ungarn (20950), in Polen (22650) und in Portugal (23690).
Alle diese Staaten wissen: Der griechische Lebensstandard ist kein Existenzminimum, sondern relativer Reichtum. Und wenn das lokal zu sozialen Härten führt, dann ist es alleine Verantwortung der griechischen Regierung, etwas zu verbessern. Ohne die EU-Partner dafür abzukassieren.

R.A.

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