6. Oktober 2015

Haltungsliteratur

Mankell war, was offenbar zur Grundausstattung guter Krimiautoren gehört, ein linker Moralist und ein engagierter Mensch. (Gerhard Spörl, SPON)
Dies soll bewusst kein Nachruf auf Henning Mankell werden. Ich habe nie ein Buch von ihm gelesen, da ich die Skandinavienkrimiwelle zwar nicht absichtlich an mir vorüberziehen habe lassen, aber mir auch keine Mühe gegeben habe, mich reitender Weise an ihr zu versuchen. Doch nach allem, was ich darüber weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich dabei irgendwelches Lesevergnügen empfunden hätte. Ich schaue ja auch keinen Tatort, und zwar aus eben jenen Gründen, die Spörl hier für Mankell anführt.

Denn die in Deutschland vorwiegend konsumierte Unterhaltungsliteratur und das Unterhaltungsfernsehen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Präfix zu viel haben. Es ist in Wirklichkeit Haltungsliteratur. Wichtig ist nicht eine spannende Haltung oder gar amüsante Dialoge, sondern, dass Autor und Leser sich einig darüber sind, was die Übel der Welt sind. Die müssen dann in der Geschichte ganz schlecht wegkommen. 

Aber es reicht nicht, dass die Inhalte den - beinahe hätte ich geschrieben "richtigen Klassenstandpunkt" - aufweisen. Auch die Haltung des Autors darf keine dunklen Flecke aufweisen (eine Teilnahme an der Hamas-Fankreuzfahrt nach Gaza zählt dabei nicht als dunkler Fleck). Der Autor soll am besten selbst politisch tätig sein - natürlich nicht als Politiker, sondern als Aktivist im Stil eines Michael Moore. Nur diese Tätigkeit gibt auch den Büchern die richtige Aussage: 
Öffentliches Engagement und Schreiben wechselten sich in seinem Leben ab. Auch als Kriminalschriftsteller war Mankell ein politischer Mensch, ein schwedischer 68er wie Stieg Larsson. Beiden genügte es nicht, tolle Geschichten mit wilden Wendungen zu schreiben. Es musste mehr sein als nur ein monströses Verbrechen, das ihr Held souverän anging. Sie wollten aufklären. Sie verstanden sich als politische Menschen und pressten Politisches in ihre Bücher. Wer Larssons Millennium-Trilogie liest, soll wissen, dass Schweden ein schlimmes Land ist, in dem die Behörden und der Geheimdienst Verbrechen begehen. So demaskierte Larsson den Wohlfahrtsstaat von heute und die Neutralität von gestern. Wer Wallanders "Der Chinese" liest, soll im Kopf behalten, wie viel Schreckliches den Zwangsarbeitern geschah, die aus China entführt wurden, damit sie die Eisenbahnschienen zum Pazifik verlegen. So entlarvte Mankell Amerika, die arrogante Weltmacht und Erfinderin des kalten Kapitalismus, der schon zu viel Leid über die Menschheit gebracht hat, wie er fand. Als 9/11 sich ereignete, sagte er, damit habe er schon lange gerechnet, der Gegensatz zwischen Arm und Reich werde immer schlimmer.
Nun ist ja mein Schweden-Bild wie bei wahrscheinlich allen meinen Zeitgenossen von Astrid Lindgren geprägt, und so wusste ich ohnehin, dass die fiesen Polizisten und die unbarmherzige Schergin des vorgeblichen Wohlfahrtsstaates (Prusseliese) Vertreter eines gnadenlosen Regimes sind, das nicht eher ruht, bis es Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminza Ephraimstochter Langstrumpf in ein Bootcamp gesteckt hat. 

Ich glaube aber nicht, dass der durchschnittliche Mankell-Leser einer "Entlarvung der Arroganten Weltmacht Amerika" bedarf, denn der weiß schon vorher Bescheid. Und genau darum geht es:

Unterhaltung, aber auch deren Produktion hat immer mehr die Aufgabe, die im angelsächsischen Sprachraum virtue signalling genannt wird. James Bartholomew beschreibt das an Hand von Comedy:
Comedians make use of virtue signalling of the vituperative kind. With the right audience they can get laughs scorning the usual suspects: Ukip, the Daily Mail, Eton, bankers and the rest. The audience enjoys the caricaturing of all of these, sneering at them and, in the process, joining together as a congregation of the righteously contemptuous. What a delight to display your virtue, feel confirmed in your views, enjoy a sense of community, let off some anger and have a laugh all at the same time! It is so easy, too! 
Comedians benutzen virtue signalling in Form der Schmähkritik. Beim richtigen Publikum können sie Lacher erzielen, indem sie die üblichen Verdächtigen in den Schmutz ziehen: Ukip, die Daily Mail, Eton, die Bänker und den Rest. Das Publikum genießt es, sie auszulachen enn diese karikiert werden, und sie finden sich in ihrer gerechten Verachtung zu einer Bruderschaft zusammen. Welche Freude, seine Tugend zur Schau zu stellen, seine Ansichten bestätigt zu finden, ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, etwas Wut rauszulassen und gleichzeitig seinen Spaß zu haben. Es ist ja auch so einfach!.  
Das ist der Grund, warum der "Tatort" vom Sonntag das Hauptgesprächsthema vom Montag ist. Um Flagge zu zeigen gegen das Böse, das vom gestrigen Massentierhalter /Chemieboss/Bänker  (nichtzutreffendes streichen) ausgegangen ist.

Wenn es aber nur um die Haltung geht, ist es kein Wunder, dass die Qualität zweitrangig ist. Weshalb es im kontinentaleuropäischen Bereich nicht einmal ein Wort für storyteller gibt, geschweige denn eine Handvoll Autoren, die diese Beschreibung verdienen.

Was die eingangs zitierte "Grundausstattung" angeht - einer meiner liebsten Krimiautoren ist Michael Ridpath, ein ehemaliger Investbanker. Der hat übrigens - für alle, die vom Nordischen nicht lassen können, eine hervorragende Krimireihe geschrieben, die in Island spielt!

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Meister Petz

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