4. Mai 2016

Transparenz und Hysterie

Es war ja schon Thema in diesem Blog, daß Deutschland notorisch wenig Erfahrung bei außenpolitischen Themen hat. Dazu kommt - nicht nur als Erbe des Sozialismus - eine weit verbreitete Unkenntnis über ökonomische Zusammenhänge. Beides recht erstaunlich bei einem Land, daß ganz besonders abhängig ist von internationalen Handelsbeziehungen.

Die Unkenntnis über Außenpolitik und die über Wirtschaft ergänzen sich aktuell ganz hervorragend als Basis für die Propaganda-Arbeit der Anti-TTIP-Lobbies. Millionenschwere Organisationen wie Campact arbeiten schon seit Jahren daran, den geplanten transatlantischen Freihandel zu sabotieren. Und dabei können sie ziemlich ungehindert auch groben Unsinn verbreiten, weil die Adressaten die Zusammenhänge nicht kennen. Und natürlich, weil die Befürworter von "Kommunikationsgenies" wie Merkel und Gabriel vertreten werden.

Man könnte eine ganze Serie schreiben, um die einzelnen Mythen wie "Chlorhühnchen", "Untergrabung des Verbraucherschutzes", "Schiedsgerichte gegen den Rechtsstaat", "Gesundheitsgefahren durch Gene und Fracking", "Ausverkauf der Kultur" und so weiter einzeln zu zerpflücken.

Hier soll es aber nur um einen zentralen Vorwurf gehen: Danach wären die TTIP-Verhandlungen skandalös intransparent, die Abgeordneten würden ihrer Rechte beraubt und damit wäre das ganze Verfahren undemokratisch.
Diese völlig substanzlosen Vorwürfe sind nur deswegen wirksam, weil die meisten Bürger und Journalisten in Deutschland nicht wissen, wie Verträge dieser Art ausgehandelt werden.

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Normalerweise entstehen internationale Verträge auf Initiative von Regierungen. Außenminister, Regierungs- oder Staatschefs treffen sich, entwickeln Ideen, verhandeln konkrete Vorschläge, lassen Details in Arbeitsgruppen klären. Meistens erfahren die Öffentlichkeit und auch die Parlamente davon wenig bis gar nichts. Presseerklärungen gibt es meist erst, wenn der Verhandlungserfolg greifbar ist und man keinen Gesichtsverlust durch ein Scheitern mehr fürchten muß.

Verhandlungen laufen dabei grundsätzlich vertraulich ab. Transparenz ist weder üblich noch sinnvoll - genau wie bei Verhandlungen der Innenpolitik oder der Wirtschaft.

Wenn die Exekutive ihre Arbeit beendet hat, liegt ein komplett ausformulierter Vertragstext vor, der auch von beiden Seiten unterzeichnet wird. In der Regel wird der Vertrag dann auch veröffentlicht, die früher oft üblichen Geheimverträge gibt es nur noch ganz selten für spezielle Zwecke.
Für alle Themen, die nicht komplett in der Zuständigkeit der Exekutive liegen, muß der Vertrag anschließend vom Parlament genehmigt werden. Erst danach kann die formale Ratifikation abgeschlossen werden und der Vertrag wird völkerrechtlich bindend.

Nach diesem Schema sind alle Verträge der Bundesrepublik abgeschlossen worden. Von den ganz großen Grundlagenwerken wie der EU-Gründung oder dem 2+4-Vertrag bis zum kleinsten Handelsabkommen.

TTIP ist genau so gelaufen. Sogar mit noch etwas mehr Transparenz als üblich, weil die EU ihre Verhandlungsziele im Parlament beschlossen und veröffentlicht hat.
Derzeit läuft die eigentliche Verhandlungsphase. Die Vertreter beider Seiten treffen sich zu den verschiedenen Unterthemen. Und selbstverständlich sind alle diese Gespräche vertraulich.
Wenn es zur Einigung kommt, dann wird der endverhandelte Text komplett veröffentlicht und geht dann seinen Weg durch die Parlamente.

Es ist absurd, daß die Anti-TTIP-Lobby diese völlig übliche Vorgehensweise skandalisiert und so tut, als wäre es eine besondere Gemeinheit der verantwortlichen Politiker, daß die Zwischenergebnisse nicht veröffentlicht werden.
Und es ist noch absurder und völlig unverständlich, daß die meisten Medien auf diese Propaganda reinfallen und die Vorwürfe wiederholen und kommentieren. Wie schon gesagt: Es fehlen hierzulande grundlegende Kenntnisse über Außenpolitik.

Verschlimmert wurde die Situation durch eine taktische Dummheit von Parlamentspräsident Lammert. In einem Versuch, den Forderungen nach Transparenz etwas entgegen zu kommen, ließ er unter besonderen Auflagen zur Geheimhaltung einige Zwischenergebnisse von Bundestagsabgeordneten einsehen.
Das war erwartbar erfolglos.
Die TTIP-Anhänger wollten ihre Zeit nicht verschwenden, um halbgare Zwischenstände zu analysieren. Und die TTIP-Gegner wollten ihre Kampagne natürlich nicht durch Fakten kaputt machen lassen. Ein echtes Aufklärungsbedürfnis gibt es nicht.
Lammert hatte den Lobbyisten nur neue Angriffspunkte für Skandalisierung gegeben. Es wurde plötzlich so getan, als wären die Geheimhaltungsauflagen unüblich - und nicht die Möglichkeit zur Vorab-Einsicht.

Besonders angeheizt wurde die Kampagne dann, als die Lobby-Organisation "Greenpeace" gestohlene Dokumente als "Leak" veröffentlichte. Inhaltlich enthielten diese zwar nichts Spannendes, aber für unseriöse Medien war das der ideale Einstieg für weitere Anti-US-Propaganda. Mit Journalismus hat solcher Agitprop nichts zu tun.

Besonders pikant ist dabei übrigens, daß die Anti-TTIP-Lobbies wie Campact oder Greenpeace selber überaus intransparent arbeiten. Es ist nur schemenhaft bekannt, wer dort wirklich das Sagen hat, eine demokratische Kontrolle gibt es nicht und die Finanzierung ist dubios.


Der letzte große internationale Vertrag, der ähnlich umstritten war, waren wohl die Ostverträge. Aber damals waren sowohl die Parlamentarier wie die Journalisten noch deutlich qualifizierter.

Die wesentliche Diskussion begann erst, als die Verhandlungsergebnisse vorlagen. Niemand kam auf die abstruse Idee, die Verhandlungen von Brandt und Scheel in Ost-Berlin oder Moskau müßten "transparent" stattfinden.
Gestritten wurde über den echten Inhalt der Verträge, nicht über eingebildete Gefahren. Und es war jedem bewußt, daß der Bundestag am Ende mit "Ja" oder "Nein" abzustimmen hatte - es wurde nicht als "undemokratisch" denunziert, daß einseitige Änderungen in den Parlamentsdiskussionen nicht mehr möglich waren.


Es bleibt abzuwarten, ob TTIP noch erfolgreich zum Abschluß geführt werden kann. Und ob die endverhandelte Fassung positiv zu bewerten sein wird oder nicht.

Aber wenn TTIP tatsächlich scheitern sollte, weil die Irrationalität und Unprofessionalität der politischen Landschaft es verhindern - dann wäre das ein weiterer Beleg für die mangelnde Zukunftsfähigkeit, die an anderer Stelle schon diskutiert wurde.

R.A.

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