4. August 2016

Irische Impressionen

Irland ist tatsächlich ein Land - wohl da einzige Land dieser Erde - in dem man wochenlang unterwegs sein kann, und an jedem Ort und jedem Abend ein Pub findet, in dem Live-Musik gespielt wird.
Es bietet auch dem Klischee entsprechend ausreichend regnerisches Wetter, obwohl dieser Autor es auch geschafft hat, sich dort einen leichten Sonnenbrand zu holen.
Aber es sind ihm noch ein paar andere, eher unerwartete Sachen aufgefallen:
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Es lebe Ramsay Bolton
Nach zuverlässigen Berichten ist Ramsay Bolton ein sowohl unmoralischer wie verhaßter Charakter. Aber offenbar nicht überall.
Da in Nordirland viele Szenen der "Game of Thrones"-Verfilmung gedreht wurden, sind die "Originalschauplätze" beliebte Touristenziele geworden. Aus Belfast oder Dublin kann man ein- oder mehrtätige Bustouren dorthin machen. Und in der Werbung für diese Touren ist Ramsay Bolton sehr präsent.
Ganz offensichtlich wirkt sein Konterfei geschäftsfördernd. Mögen die Touristen ihn auch hassen, sie zahlen trotzdem gerne. Eigentlich müßte ein findiger Geschäftsmann noch das Grab Ramsay Boltons präsentieren, das müßte sich hervorragend verkaufen.

1972
Die irische Geschichte ist lang und betrüblich. Nach der Blütezeit im frühen Mittelalter wechseln sich Jahrhunderte lang schlechte Zeiten mit ganz schlechten Zeiten ab: Kriege, Bürgerkriege, Hungersnot, Unterdrückung, Armut, Religionskonflikte - die Gründe für beständige Massenauswanderung liegen auf der Hand.
Auch die Unabhängigkeit verbesserte nicht so viel: Irland blieb immer noch ein armes und rückständiges Land am Ende der Welt.
Und dann leuchten die Augen des Stadtführers auf, denn dann kam das magische Jahr 1972.
Das Jahr des Beitritts zur EU.
Dann kam die Modernisierung, der direkte Zugang nach Europa, der wirtschaftliche Aufschwung, die kulturelle Blüte, der Anstieg der Besucherzahlen. Und natürlich kamen auch Geldzuschüsse aus Brüssel, Irland war im wesentlichen Netto-Empfänger - aber das ist vergleichsweise ein Nebeneffekt. Die EU-Begeisterung der Iren wäre wohl auch bei Netto-Zahler-Status ungedämpft.
So unterschiedlich können andere Rahmenbedingungen die Wahrnehmung formen. Wenn man die Brexit-Diskussion in England oder diverse EU-Diskussionen auf dem Kontinent mitverfolgt hat, ist die herzliche EU-Begeisterung der Iren ein unglaublicher Kontrast.

Neuland funktioniert
Zur irischen Modernisierung gehört, daß weithin im Lande eine hervorragende Internet-Versorgung installiert ist. Und zwar weitgehend ohne die im zukunftsängstlichen Deutschland üblichen Hindernisse.
Es gibt fast überall in öffentlichen Gebäuden, Hotels, Restaurants und Pubs ein gutes Wifi-Angebot. Ohne Anmeldung. Wo noch ein Paßwort gebraucht wird, hängt es meist irgendwo offen an der Wand oder steht auf der Speisekarte. Aber die meisten dieser Netze sind völlig frei zugänglich.
Und ganz offensichtlich sind überhaupt keine der schlimmen Folgen eingetreten, die von deutschen Lobbies für den Fall einer Gesetzeslockerung an die Wand gemalt werden.

Wie man es nicht macht
Wer noch irgendwelche Illusionen über die Qualität der deutschen Außenpolitik haben sollte, hätte Mitte Juli die irischen Zeitungen lesen sollen.
Da besucht der irische Premier Berlin, um bei der Kanzlerin die irischen Sorgen wegen der Brexit-Verhandlungen vorzubringen. Denn natürlich ist das Land von dieser Frage ungleich stärker betroffen als jeder andere EU-Partner. Irland hat eine komplett offene Grenze zu Nordirland, hunderttausende Iren leben im UK und der von der EU stark geförderte Friedensprozeß in Nordirland ist in eine unklare Situation geraten.
Das heißt nicht, daß Deutschland Irland gegenüber zu besonderen Hilfestellungen verpflichtet wäre. Aber verstehen und berücksichtigen muß man die speziellen irischen Probleme schon. Insbesondere da die Beziehungen zwischen Irland und Deutschland immer sehr eng und freundschaftlich waren.
Aber Merkel läßt den irischen Kollegen völlig abblitzen. Sie könne da keinen besonderen Handlungsbedarf sehen, Irland wäre kein Sonderfall, sondern würde genauso behandelt wie jeder andere EU-Staat.
Ignorant, arrogant, ohne auch nur den Versuch, mit unverbindlicher Höflichkeit einen Gesichtsverlust für den Gast zu vermeiden. Eine völlig sinnlose Brüskierung.


R.A.

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