20. August 2016

Marginalie: Der Beifang der Inklusion

In der sehr interessanten, auf ZEIT-Online publizierten Reihe Jung und links ist ein Text von Nele Pollatschek erschienen, den diese zuerst auf ihrem Blog Oxford Dphile, dort in englischer Sprache, gepostet hat. Die deutsche Fassung ist keine wortwörtliche Übersetzung des Originals, was allein schon daran ersichtlich ist, dass der Titel auf ZEIT-Online im TAZ-Duktus gehalten ist, während die englische Überschrift die jedenfalls im Deutschen semantisch unmögliche Kombination von curriculum (Lehrplan, Unterrichtsprogramm) mit den Adjektiven white, male and straight (weiß, männlich und hetero) herstellt.
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Nele Pollatschek promoviert in Oxford über englische Literatur. Als Studentin von der Dominanz weißer, männlicher, heterosexueller und christlicher Autoren in den Lektürelisten der von ihr besuchten Seminare irritiert, stellte sie während ihrer eigenen Dozententätigkeit fest, dass dieses Übergewicht nicht Ausdruck einer rassistischen Gesinnung ihres Lehrpersonals ist, sondern es sich deshalb perpetuiert, weil Universitätsangestellte aus Zeitnot das weitervermitteln, was ihnen ohnehin bekannt ist und was somit keiner aufwendigen Vorbereitung bedarf.

Um aus dieser Routine auszubrechen, opfert Pollatschek die eigentlich für die Abfassung ihrer Dissertation benötigte Zeit und erweitert ihre Literaturkenntnisse im Sinne ihres Inklusionswunsches. Dabei ist sie auch auf den japanischen Schriftsteller Yukio Mishima (beziehungsweise in der japanischen Reihenfolge: Mishima Yukio) und dessen Roman Der Seemann, der die See verriet gestoßen. Als Nichteuropäer und Homosexueller fügt sich Mishima in das von Pollatschek intendierte bunte Bild natürlich ein. Aber ob ihr als bekennender Linker bewusst ist, dass sie sich von einem politisch doch ziemlich rechtslastigen Federkünstler faszinieren lässt?

Vielleicht ist Pollatschek ja in der Lage, den Menschen im Hinblick auf dessen Ideologie von seinem Werk zu trennen, was sie bezüglich der Punkte Hautpigmentierung, Chromosomenausstattung, sexuelle Orientierung, (nominelle) Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft offenbar gar nicht erst versucht.

Es gab immer wieder Schriftsteller, die großartige Texte zu Papier gebracht haben, jedoch in politicis Narren beziehungsweise mehr als das waren: Knut Hamsun bietet sich als einschlägiges Beispiel an. Goethe war charakterlich nicht der Olympier, den man aufgrund seines jeder Bewunderung würdigen Gesamtwerks nur zu gerne ihn ihm vermuten würde. Und den Menschen hinter dem Verfasser des Shakespeare-Opus zu verehren ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da man von diesem Phantom der Literaturgeschichte nichts wirklich Handfestes weiß.

Da Nele Pollatschek Vorschläge für ihre weiteren Bemühungen ausdrücklich willkommen heißt, sei ihr der folgende Rat anheimgegeben: Ein interessantes Projekt wäre es, analog zu anonymisierten Bewerbungen den Buchdeckel und die Titelei eines Werks zu verblenden, damit dieses rein aufgrund seiner literarischen Qualität und nicht wegen irgendwelcher nebensächlicher Eigenschaften seines Autors geschätzt oder verrissen wird.

Noricus

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