20. November 2017

„Für die Müllfee“

So lautet die schöngeschriebene Aufschrift auf einem Behälter an einem der parallelen Isar-Spazierwege zwischen Harlaching und Grünwald. Nicht oben am Hochufer, sondern am Waldstreifen zwischen Kanal und Wildwasserbett. Wer das wohl ersonnen hat? Wohl nicht die städtische Entsorgung, sondern jemand aus einem Verein, dem die Müllbeseitigung am Herzen liegt. Das Herz spielt hier überhaupt eine große Rolle: Der Behälter steht nahe der Hochbrücke, wo die Liebespaare ihre Schlösser ans hohe Drahtgitter (gegen die Selbstmordversuchung) hängen und die Schlüssel hinunter ins Flussbett werfen. ­

Die nette Aufforderung, die Abfälle nicht ins Gebüsch zu werfen, sondern der Fee zu schenken, macht einen schmunzeln. Sie motiviert. Sie droht nicht. Mir fällt die humorige Kritik an der sauberen Schweiz ein: Wie einem etwas Weggeworfenes als ‚Verlorenes‘ nachgetragen wird und dem Täter nichts übrig bleibt als seinen kleinen Müll mit der Post an die eigene Adresse nachhause zu senden.

Hier in unserem Land ist das anders. An der Straßenbahnhaltestelle genau gegenüber am Hochufer werden viele Kaffeebecher aus dem Kiosk einfach in den Wald geworfen. Niemand trägt sie den Wanderern und Radlern nach. Da lob ich mir die Idee mit der Müllfee. Sie ist vom Pädagogischen her so zauberisch-leicht. Ich lese mit Lächeln ein Gebot auf einer postchristlichen Gesetzestafel, nicht vom Sinai, sondern von der Hand einer naturreligiösen Schicksalsgöttin geschrieben. Feen sind überwiegend gut und heiter.

Wir wären vor dem Untergang der Menschheit gefeit, wenn wir der Waldfee gehorchten.

Ich habe im Lauf der Zeit zum Einschlafen im Bett eine Reihe von Märchen verschiedenster Völker gelesen. Ich meine, die meisten Feen gibt es in isländischen Märchen, die treten zuhauf aus Felsbrocken heraus.

Sie sind die idealen Figuren für eine Ersatzreligion: Keine Götter, sondern eher wie Nymphen und Dryaden, Feld- und Waldgeister. Sie passen zu der heute gesuchten Ethik-Religion hinter allen Religionen, zum gemeinsamen Kult der Sorge für die Umwelt.

Laut den Dichtern gibt es drei berühmte Feenreiche: die Insel Avalon, ein weiteres Reich im Inneren der Erde mit Orpheus und Eurydike und die sagenumwobene Wald-Wildnis Brocéliande in der Bretagne.

Ich dachte: Wirklich leben die Feen heute nur in Kinderbüchern und -seelen. Da ist es schon toll, dass mir heute der Bettelhut der Müllfee von Grünwald und ihre Handschrift vor Augen gekommen sind: „Für die Müllfee“.

Ludwig Weimer

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